Donnerstag, 3. Januar 2019

Tag der Prüfungen

Heute ist wieder mal der Tag der Prüfungen. Kleine, unbedeutende Prüfungen, aber trotzdem. Die letzte dieser Prüfungen war, dass der Text, den ich vor einer guten Stunde in „Joe`s Cafe“ verfasst habe, von meinem Handy verschwunden war, als ich es aus der Tasche holte (ich hatte vergessen, den Bildschirm zu deaktivieren und im Dunkeln der Tasche kam es wohl zu falschen Bewegungen, die den Text spurlos löschten).

Schlief in der Nacht schlecht, mit beginnender Erkältung und dem wohlbekannten Gefühl, dass mir mein Kopf zu eng ist, und wachte dann am Morgen schlecht gelaunt auf (noch schlechter gelaunt als erwartet). Kurze Meditation auf dem Balkon, Yoga im Zimmer und stiller Morgenspaziergang, dann Frühstück bei Saravana Bhawan (ein Masala Dosa - ein mit einem Kartoffelgemüse gefüllter Pfannkuchen aus fermentiertem Reisteig) und schließlich Aufbruch zum Dakshina Chitra, einem Freiluftmuseum, das wir nach einstündiger Rikshafahrt erreichten, bei der meine schlechte Laune sich zu potenzieren schien. Ich war bei der Ankunft so müde, dass ich mich erstmal auf einer Steinbank langlegte und etwa eine Stunde vor mich hindöste.

Seit dem ersten Januar gibt es in Tamil Nadu ein Verbot von Einweg-Plastikverpackungen, und im Dakshina Chitra wird der Besucher explizit dazu aufgefordert, sich keinen Plastikstrohhalm geben zu lassen. Die alte Frau, die grüne Kokosnüsse verkaufte, schlug mit ihrer Machete gekonnt eine Öffnung in meine Kokosnuss, so dass ich direkt daraus trinken konnte. Das Kokosnussfleisch ging an die magere Katze, die miauend über das Gelände lief. 

Die Plätze, die wir im Restaurant bestellt hatten, hatte man nicht für uns reserviert, und wir mussten (da wir keine Lust hatten, eine halbe Stunde zu warten) auf einen ungeputzten und ungelüfteten Raum ausweichen, wo ich erstmal alle gebrauchten Servietten vom Boden aufhob und die Fenster öffnete.

In Indien verehrt man eine Göttin - Kali -, deren Attribut unter anderem ein enormer (gerechter) Zorn ist. Heute spürte ich ganz deutlich, dass ich ein (nicht so kleines) Fitzelchen dieser Göttin in mir trage, aber das ist vielleicht auch ein Versuch, meinen inneren Vulkan schönzureden.  Ich dachte, dass die Stärke meiner Gefühle vielleicht damit zusammenhängt, dass ich gestern bei unserem Freund Ajaz ein Klanghealing bekommen habe, bei dem er feststellte, dass ich sehr müde und angespannt sei (und eine weitere Behandlung bräuchte, bei der er mir helfen würde). Dieses Klanghealing hat vielleicht die in mir angestaute Anstrengung und Anspannung der letzten Monate in Bewegung gebracht, und dass ich mich an einer heiklen Grenze entlang bewege, kann möglicherweise als ein gutes Zeichen gesehen werden. Es fühlt sich trotzdem nicht gut an. 

Während ich das schreibe, geht die Sonne unter. Eine Teilnehmerin hat sich heute Vormittag bei einem Sturz verletzt, und wir versuchten am Nachmittag, im Krankenhaus Hilfe zu bekommen, aber die Ärztin war nicht da. Es folgte ein recht fruchtloser Ausflug (beim ATM ging es nicht, Geld abzuheben, ein Teil der Kleider, die sie beim Schneider abholen wollte, waren noch nicht fertig), und wir haben jetzt vereinbart, später einen neuen Versuch im Krankenhaus zu unternehmen. 

Ich habe die Enttäuschung darüber, dass ich alles, was ich heute schon geschrieben habe, verloren habe, noch nicht überwunden. Es stinkt nach Mosquito Repellent. Überall scheinen gut gelaunte Menschen herumzusitzen, nur ich bin düster und schlecht drauf. Das Wunder, das ich mir insgeheim von Indien erhoffte habe, hat sich noch nicht eingestellt. Ich rechne in den schlaflosen Stunden mein Geld nach und mache mir Sorgen wegen meiner Zukunft. Ich fühle mich hartherzig und ertrage doch nicht den traurigen Anblick der Straßenköter, die von der Räude geplagt werden und teilweise auch andere Verletzungen haben, um die sich niemand schert. Es stört mich die Gleichgültigkeit der jungen Frauen hinter der Rezeption im „Krankenhaus“, die ihre Köpfe über einem Handy zusammenstecken und nur (scheinbar) widerwillig auf meine Fragen reagieren. Selbst meine Mitreisenden ertrage ich nur schlecht, fühle mich provoziert von ihrer ungehemmten Kauflust und von den seichten Gesprächen, die sich nicht selten um die letzten Käufe drehen. Ich kann mich selber nicht leiden, und als ich heute im Dakshina Chitra auf der Steinbank lag, war ich mir nicht sicher, dass ich irgendwann wieder die Kraft haben würde, mich von dort zu erheben. Ich habe es dann doch getan, und es ging. Es geht dann doch immer wieder. Und immer wieder passiert etwas, was mich wieder aufmuntert. Die Fürsorge von Ajaz zum Beispiel, der sich bereit erklärt, auch mit ins Krankenhaus zu kommen und uns dort beizustehen. Die Freundlichkeit von P, die mit einem Omelette vorbeikommt, das sie wortlos vor mir auf dem Tisch abstellt. Die warme Brise des Abends. Und immer wieder die Freundlichkeit der Inder, die eine Bresche in meinen Gefühldschungel schlägt. 




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