Samstag, 5. Januar 2019

Erkältet in Pondicherry

Sitze auf dem Steinfußboden unseres Hotelzimmerbalkons in Pondicherry, lasse mich von der Spätnachmittagsbrise (und vom Verkehrslärm) umwehen und tue mir leid, weil ich so erkältet bin.

Der gestrige Tag in Mamallapuram war außerdem - in meiner Wahrnehmung - ziemlich fürchterlich, und ich konnte deshalb schlecht einschlafen. Plötzlich kam mir nämlich Mamallapuram vor wie eine Art Minihölle, ein Ort, an dem die schlechtesten Eigenschaften der Menschen vergrößert und deutlich sichtbar werden. Verzweifelte Shopbesitzer, die ihre Existenzangst in wahnwitzige Preise umwandeln, Touristen, die eigentlich nur mal ihre Ruhe haben und einen guten Kaffee trinken wollen, und die Unmöglichkeit, einfach nur so mal das Hostel zu verlassen und herumzulaufen, ohne gleich angesprochen zu werden (“come look at my shop”). Ständig wird einem der Eindruck vermittelt, dass man ganz persönlich für die Existenz und die Familie der Verkäufer verantwortlich ist. Außerdem war da die Hitze, meine aufblühende Erkältung, und die Tatsache, dass in der Gruppe wirklich ein Shoppingwahn ausgebrochen war. Schon jetzt, nach einer Woche, gibt es haufenweise Extrataschen, die dann wieder im Bus untergebracht werden müssen. Dazu kommt das Wissen, dass wir uns alle ausnahmslos übers Ohr hauen lassen und dazu beitragen, dass im Dorf eine ökonomische Ungleichheit entsteht (diejenigen, die mit den Westlern Geschäfte machen und die anderen, die ihr indisches Leben leben, mit indischen Preisen und indischem Einkommen). Das ist eine totale Schieflage, und die Hysterie bei den Verkäufern ist dementsprechend. Typischerweise sind es die Männer, die sich am meisten in den Vordergrund drängen, die größten Profite machen, das meiste Trinkgeld absahnen. Mich ekelte unsere Rolle ehrlichgesagt ziemlich an. 

Selbst hatte ich mir beim Schneider zwei Hosen bestellt, nach einer Vorlage, die ich aus Schweden mitgebracht habe, aber schließlich musste ich gestern Abend feststellen, dass wieder ein typisch indischer Schnitzer unterlaufen ist - das Schnürband ist hinten anstelle von vorn, und die Beine sind unterschiedlich breit. Also versuchte ich heute Morgen den Ladenbesitzer, einen jungen, eifrigen Mann, der mir versprochen hatte, dass ich mit seiner Arbeit 101% zufrieden sein würde, ausfindig zu machen. Schließlich war nicht mehr genug Zeit übrig, um das Missgeschick auszubessern, und er schenkte mir eine andere Hose zum Ausgleich, womit ich eigentlich ziemlich zufrieden war (wenn auch erschöpft von der ganzen Aktion und auch ziemlich niedergeschlagen wegen der blöden Rolle, die wir hier spielen).

Gestern Abend haben wir uns noch ein paar Vorstellungen vom indischen Tanzfestival angeschaut (unter freiem Himmel, nach etwas indischem Fastfood). Entzückt beobachtete ich einen jungen indischen Mann, der total verliebt in seinen kleinen Welpen zu sein schien, der tolpatschig vor ihm herumwackelte. In einem Land, in dem die meisten Tiere auf ihre eigenen Überlebenskünste angewiesen sind, erscheint das schon fast wie ein kleines Wunder.

(Später)
Bin jetzt doch noch unerwartet in den Flow von Indien hineingekommen. Im AC-Restaurant des Hotels war es mir zu kalt. Also ging ich auf die Straße und fand nach einigen Metern einen Stand, wo ich Paroti (gebratenes gedrehtes Brot) mit Soße aß - die zwar nicht appetitlich aussah, aber um so besser schmeckte. Ich sass auf einem Plastikstuhl und aß mit der Hand von einem mit Papier belegten Teller. Die einzigen Kunden waren junge Männer, und man ließ mich völlig unbehelligt essen, fragte nur nach einer Weile zuvorkommend, ob ich vielleicht mehr Soße haben wollte. Für dieses Essen bezahlte ich umgerechnet ungefähr 30 Cent. Ich wusch mir die Hand mit dem Wasser, das auf dem Tisch stand und ging dann weiter zu einem Kiosk, an dem eine müde Frau saß und etwas auf eine Zeitungsseite kritzelte. Bei ihr bestellte ich ein Glas Tee, trank es im Stehen und beobachtete einen Rikshafahrer, der versonnen einen Hund kraulte. Auch diese Geste der Zuneigung berührte mich, im Hupkonzert des Abends. 

Bei diesen kleinen Erkundungstouren, die ich allein unternehme,  bin ich oft am glücklichsten. Und das Essen an einem solchen Straßenstand ziehe ich in den meisten Fällen dem Restaurantessen vor, bei dem drei oder vier Kellner sich um mich bemühen. 

Am Meer war ich heute auch, wo im Licht von starken Scheinwerfern Menschen auf den Ufersteinen saßen, aufs Meer blickten, oder sich auf der Uferpromenade fotografierten. An einem Stand wurde in kleinen Keramikbechern “Kofi” verkauft, und eine lange Schlange stand davor an. Ich versuchte, in einer “Apotheke” Papiertaschentücher zu kaufen, man bot mir aber stattdessen undefinierbare Tabletten an, die ich dann zum Verdruss des hilfsbereiten Verkäufers schließlich doch ablehnte.

Inzwischen wieder im Hotelzimmer, schniefend und mich schneuzend. Ich werde mir später noch den Malachit auf den Kopf legen, wie es mir der Klangheiler empfohlen hat - angeblich und hoffentlich fällt es mir dann leichter einzuschlafen.




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