Freitag, 25. Januar 2019

Nachtrag und Jetztzeit

Zurück im Ashram, nun schon einen ganzen Tag. P und ich sind gestern hier angekommen, ich habe „mein“ Zimmer bezogen, wir sind in den Ashram-Alltag hineingeglitten. Man kennt uns hier, und wir kennen uns aus. Nach der anstrengenden Reise möchte ich mich hier vor allem erholen. Wenig reden, lesen, schreiben, zeichnen, Yoga machen. 

Von einem in Frankreich lebenden Schotten namens John habe ich ein Buch mit dem Titel „Move without Pain“ geliehen und eine Übungsreihe daraus gleich ausprobiert - gegen meine Hüft- und Schulterschmerzen.

Eine Besucherin erzählte in der Teepause über ihre Begegnungen mit Bede Griffiths in den 80er und 90er Jahren. „Er war ein Heiliger“, sagt sie und unterlegt ihre Behauptung mit einigen Beispielen. 

Endlich kann ich wieder entspannte Gespräche führen, Small Talk von der Art „Wo kommst du her, wo fährst du hin?“. Endlich spüre ich keine Verantwortung mehr dafür, dass sich die Leute in Indien wohlfühlen. Die finanzielle Verantwortung der letzten Wochen hat mich mehr belastet als mir bewusst gewesen ist. Hier kann ich endlich meinen Geldbeutel in eine Ecke legen und brauche erstmal nicht mehr an ihn zu denken (bis wir von hier wieder wegfahren, in einer guten Woche).

In den Karalyan Hills haben wir den Schulkindern (im Alter von 3 bis 10) bei ihrem morgendlichen Drill zugesehen und dann alle Klassen besucht. Wir haben eine mehrstündige Wanderung gemacht, mit einem lokale Führer, der uns durch mehrere Tribal Villages führte. Leider haben wir dabei nicht so viel erfahren, da das Englisch unseres Führers (und vielleicht auch sein Interesse) nicht ausreichte. 

Wir haben die Frauen und Männer am Morgen auf dem Weg zur Arbeit gesehen, die Frauen eine geflochtete Plastiktasche in der Hand oder auf dem Kopf, in der die Tiffins für das Mittagessen steckten. Auf den Feldern wurde gearbeitet, in den ausgestorbenen Dörfern lagen müde Hunde in der Sonne.  Ein Mann und eine Frau wendeten Brennholz von einem Stapel auf den anderen. Kleine Ziegen tollten herum. 

Wir machten bei einer Familie Rast und bekamen heißes Wasser für die Teebeutel, die wir mitgebracht hatten. Offensichtlich hatte man das Wasser schon so rechtzeitig gekocht, dass es bei unserer Ankunft nur noch lauwarm war. Typisch für Indien war vielleicht, dass niemand das Wasser noch einmal auf die Feuerstelle setzte. 

Unser Führer arbeitet eigentlich als Field Worker für die Schule. Er kommt selbst aus der Gegend, ist Hindu, hat aber eine christliche Schule besucht und drei Jahre Geschichte studiert. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, dann besteht seine Aufgabe darin, Kinder für die Schule zu rekrutieren. Von den Kindern, die wir auf unserer Wanderung trafen, wusste er, dass sie nicht in die Schule gingen, weil sie „keine Lust hatten“, es schien ihm aber weiter nichts auszumachen, er konstatierte es lediglich.

Mir ging auf unserer Wanderung gehörig die Luft aus, und später sah ich ein, dass ich mir einen Magenvirus eingefangen hatte. Die letzten Kilometer schleppte ich mich nur noch mit reiner Willenskraft voran - meine Beine fühlten sich an wie eine Mischung aus überkochten Spaghetti und Betonklötzen. Das klingt vielleicht widersprüchlich, war aber eine unwiderlegbare Tatsache. 

Am Nachmittag erfüllte ich aber doch mein Versprechen, in die Schule zu kommen und den Lehrern einige der Spiele zu erklären, die im Raum für „Physical Education“ vor sich hinstaubten. Zusammen mit einer anderen Frau in der Gruppe machten wir kurzen Prozess, indem wir alle Regale ausleerten und dann  vor den erstaunten Augen einer Lehrerin und einer Putzfrau erst mal um Wasser und Lappen baten. 

In einem Land, in dem die Rollen und Hierarchien so festgeschrieben sind und mancher von uns „reichen“ Weißen sicher die Vorstellung hat, dass körperliche Arbeit in unserem Leben nicht vorkommt, war unsere Putzaktion auch eine Art Demonstration. „Hallo, seht mal her, bei uns macht jeder alles! Wir sind uns nicht zu fein zum Putzen!“

Danach ordneten wir höchst effektiv die Spiele je nach Kategorie und Schwierigkeitsgrad, schmissen alles, was kaputt oder einfach nur unbrauchbar war, auf einen Haufen, der dann auch wirklich von der Putzfrau weggebracht wurde (auf einen Wink des Rektors hin), und setzten uns schließlich mit den Lehrerinnen im Kreis auf den Boden, um verschiedene Spiele zu demonstrieren und zu zeigen, welche Möglichkeiten man mit ihnen hatte, je nach Altersgruppe.

Trotz meiner Beton-Spaghetti-Beine demonstrierte ich außerdem, wie Gummitwist geht, zur großen Erheiterung der in Sari gekleideten Lehrerinnen, die so etwas noch nie gesehen hatten, und dann zeigte ich ihnen, wie man die Bälle aufpumpt, die im Regal schlapp und unbrauchbar herumgelegen hatten.

Für den Abend hatte man sechs Frauen aus den Dörfern zu uns bestellt, damit sie vorführten, wie dort seit sicher Urzeiten um das Feuer herum getanzt und gesungen wird. Das klang zwar interessant, aber die Vorstellung war ziemlich ermüdend und eintönig, da auch hier jegliche Erklärung oder Einführung fehlte. Als ich den Rektor, der während der Woche in einem Seitenbau wohnt und nur am Wochenende zu seiner Familie fährt, fragte, wovon die Lieder denn handelten, sagte er mit einem entschuldigenden Lächeln, dass er sie selbst nicht verstehe. 
Singen sie in einer anderen Sprache?, fragte ich.
Nein, das nicht, sagte er. 
Das wiederum ließ mich ratlos zurück, und sein Englisch reichte nicht aus, um dieses Rätsel auflösen zu können. Unser Guide war ebenfalls nicht in der Lage, zwischen uns und den Frauen zu vermitteln - er war nämlich völig von seinem Handy absorbiert.

An unserem letzten gemeinsamen Abend machten wir dann auf dem Dach des Gästehauses der Schule, auf dem wir an den Morgen und Abenden auch immer getanzt hatten, ein kleines Ritual. Wir pusteten indische Erde in alle Himmelsrichtungen und warfen Blumen hinterher. Dazu dachten wir uns unseren Teil.

Übrigens haben wir es in den Bergen noch geschafft, uns mit je einem halben Pfund Schwarzpfeffer und einigen Vanilleschoten eines benachbarten Ökobauern versorgen zu lassen, dessen Gelände wir an unserem ersten Nachmittag besichtigten. In der Nacht überlegte ich dann in meinen wachen Stunden, was ich wohl mit einer derartigen Menge Pfeffer anfangen soll -  

Die Glocke läutet. Es ist Stille im Ashram angesagt. Die Sonne geht unter, die Mücken kommen angeschwirrt. Auch heute habe ich wieder eine Ladung Wäsche gewaschen (und eine weiter Ladung an den Dubi Walla weitergegeben). Ich habe einige Stunden unter meinem Moskitonetz verbracht und angefangen, ein neues Buch zu lesen: „India in My Mind“, eine Anthologie von Mihra Pankaj, die mit amüsanten Indienbeschreibungen von James (?) Ackerley und Paul Bowles schon mal gut anfängt. Zeit für „Odomos“ - das indische Mückenmittel...


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