Samstag, 19. Januar 2019

Das Wasser von Ramesvaram

Wir sind inzwischen in Trichy (Tiruchirapalli) angekommen, und ich sitze (wie gehabt) auf dem Hotelbett, einen ayurvedischen Hustentee schlürfend. Es ist früher Morgen. Immer noch bin ich an den Morgen mit Husten beschäftigt, der aber dann im Lauf des Vormittags abklingt. Totaler Szenenwechsel. Von unserem kleinen, wenn auch feinen Hotel in der Tempelstadt Ramesvaram (direkt an der am meist befahrenen Dorfstraße gelegen) in das palastartige Hotel Femina in Trichy. Das Hotelzimmer ist so groß wie ein Ballsaal. Und vom Fenster (das die gesamte Zimmerbreite einnimmt) aus hat man eine Aussicht - Bäume und Häuser und Himmel - und nicht nur einen dreckigen Luftschacht oder einen Hotelflur. Man blickt direkt herunter auf den Hotelpool, an dem ich vorhabe, ein wenig Zeit zu verbringen. Außerdem will ich ins ins Kino gehen und einen dreistündigen Film ansehen.

Für gestern Vormittag war also Karmabad im Tempel von Ramesvaram angesagt. Wir stellten uns in die „Badeschlange“, zahlten 25 Rupies Eintritt (35 Cent) und ließen uns dann in der Menge der Badenden mittreiben. Fast alle Badenden waren Inder. Erst nach einer Weile entdeckten wir eine Gruppe von jungen Leuten, die aus Russland kamen. Auf dem Beckenrand von jedem der 22 Brunnen standen zwei weißgekleidete Wasserholer, ließen einen kleinen Metalleimer an einer Schnur hinab ins Wasser fallen und zogen ihn dann hoch, um ihn den Wartenden über den Kopf zu kippen. Manchmal schleuderte auch einer der Wasserholer den Inhalt des Eimers den Entgegenkommenden entgegen. Es dauerte nicht lange, bis man völlig durchnässt war. Das Wasser schmeckte etwas salzig und war angenehm warm. Viele Inder machten eine betende Geste, wenn sie den Männern am Brunnen ihre Köpfe hinhielten. Metallabsperrungen lotsten die Mengen in die richtige Richtung. Auf diese Weise klapperten wir einen Brunnen nach dem anderen ab. Sie waren zwar nummeriert, von 1 bis 22, aber die Reihenfolge war durcheinander, was gut war, denn so verloren wir schon nach kurzer Zeit die Kontrolle und wussten nicht mehr, wie viele Wasserduschen noch vor uns lagen. Hin und wieder skandierte eine Gruppe junger Männer: „Om nama shivaya“ - was ungefähr so viel bedeutet wie „geheiligt sei dein Name, Shiva“. Die Stimmung war aufgekratzt und respektvoll zugleich. Niemand schubste oder drängelte. An einem großen Wassertank mit rosa Seerosen wurden die Eimer von einer Plattform ins Wasser gelassen. Wir ließen uns den Inhalt der Eimer über den Kopf kippen, lachten mit den Indern, gingen in unseren tropfnassen Kleidern weiter, fröstelten hin und wieder, wenn wir durch schattige Gänge liefen, rieben uns das Wasser aus den Augen, folgten den anderen tropfnassen Badenden, und kamen schließlich beim letzten Brunnen an, bei dem es keinen Eimer mehr gab, sondern nur eine kleine Messingschale pro Person. Das Wasser dort war nämlich das heiligste der ganzen Runde, „so heilig wie Wasser vom Ganges“. Das Ganze war eine Mischung von Volksfest und heiligem Ritual, mit dramaturgischer Steigerung (Wassertank) und sanftem Ausklang (Messingschale). Die meisten Badenden waren besser vorbereitet als wir, hatten in Taschen trockene Kleider mitgebracht, in die sie dann in einer Umkleide am Ausgang wechseln konnten. 

Wir liefen nass und tropfend und gut gelaunt zurück zu unserem Hotel, zogen uns trockene Kleider an, frisch gereinigt von allen bösen Gedanken, Worten und Taten unseres Lebens - jedenfalls konnten wir uns das für eine kurze Weile versichern. 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen