Mittwoch, 16. Januar 2019

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Nach eineinhalb Tagen Madurai - der Seele der Hindus näher und Welten davon entfernt! Mehrmals haben wir den Meenakshi-Tempel umrundet, sowohl außerhalb als auch innerhalb der Mauern. Wir haben uns die Geschichte der fischäugigen Göttin Meenakshi erzählen lassen und haben sie uns gegenseitig wieder erzählt. Wir sind im Labyrinth der Tempelanlage herumgeirrt, vorbei an schwarzgekleideten Pilgern und anderen Besuchern, haben versucht, unsere Opfergabe, eine Schüssel mit eineinhalb Kokosnüssen, zwei Bananen, einem Blumenschmuck, einer heiligen safransgelben Schnur und zwei Döschen mit gelbem bzw. rotem Pulver loszuwerden, wir haben auf tausend Säulen gestarrt und uns auf die Messingplatte gestellt, von der aus man durch ein Fensterchen in der Mauer ein Fitzelchen der goldenen Gopura erspähen kann, wir haben hilflos versucht, zu begreifen, was wir sahen, haben uns im Strom der Besucher mittreiben lassen, als Zuschauer und Analphabeten, vorbei an Butterlämpchen, an Verkaufskiosken, an denen man süße, fette Kugeln in Bananenblättern verkaufte, vorbei an Brahminen, die, auf dem Boden sitzend, private Ritale für Besucher ausführten, wir haben uns am Anblick des riesigen Tempeltanks erfrischt und uns noch einmal vorbuchstabiert, welche Hindugötter wir kennen, in welcher Beziehung sie zueinander stehen, und haben unser Wissen, dass Meenakshi gleich Parvati ist, dass Shiva hier einen anderen Namen trägt, so vor uns hergetragen, dass wir uns einbilden konnten, wir seien tatsächlich Experten.

Außerhalb der Tempelmauern haben wir die schwarzgekleideten Pilger dabei beobachtet, wie sie Kleidchen und Plastikspielzeug für ihre Kinder zu Hause kauften, wir haben Zuckerrohrsaft mit Zitronensaft und Ingwer getrunken, noch ein grüne Kokosnuss leergesüffelt, haben in heruntergekommenen “medical”-shops Hautöle, Hustensäfte und ayurvedische Tees gekauft, uns von einer alten Inderin Baumwollgarne in unzähligen Farben in eine selbstgemachte Papiertüte packen lassen, wir sind durch die düstern Markthallen im alten Tempelbereich gelaufen, vorbei an schmiedeeisernen Feueröfen und Bratpfannen, an Messinggeschirr und Körben aus Palmenblättern, wir haben immer wieder abwehrend die Hände gehoben, wenn man uns zum hundertsten Mal ansprach und uns Beutel, Schals, Hosen, Bettüberwürfe anbot, mit “just lookin, mam” versuchte, uns in Kashmiri-Shops zu locken, von deren Dächern man “die beste Aussicht” hat, wir haben in Seitengassen zugesehen, wie man Spritzgebäck in verschiedenen Farben und Geschmäckern in heißem Öl frittierte, wir haben uns von einem Schneider das Blaue vom Himmel herunter versprechen lassen und dann beim Abholen festgestellt, dass er alles falsch gemacht hatte, was man nur falsch machen konnte. Wir haben zugesehen, wie Shivas Reittier und Begleiter, die Kuh “Nandi”, die in riesenhafter und bunt bemalter Ausführung vor dem Tempelbezirk steht, von Brahminen mit Weihrauch und Geschepper umrundet wurde, wir haben uns unser Herz vom Anblick der abgezehrten, staubigen Hunde zerreißen lassen, sind löchrige Gehsteige entlang gelaufen, haben uns Reis und Soßen auf Bananenblätter kippen lassen und mit unseren Händen gegessen, haben unsere Wäsche verfärbt und angegraut vom Hotelwäscher zurückbekommen, wir haben gestaunt darüber, wie wir von einer Welt in die nächste taumeln, wie schnell wir vergessen und wie unberechenbar die Zeit ist.

Heute vormittag haben wir mit drei gut gelaunten Rikshafahrern eine ausgedehnte Runde durch die Stadt gedreht, haben mit ihnen Eis gegessen und Selfies gemacht und einige Sehenswürdigkeiten abgeklappert. Das Gandhimuseum war geschlossen, und morgen machen wir einen neuen Versuch. Ich sitze auf dem Hotelbett, den Bauch voll von Paneer Biryani und Lemon Soda, die ich in der erfrischenden Abendbrise auf dem Hoteldach genossen habe, mit Blick über die Dächer der Stadt und auf die riesigen, erleuchteten Tempeltürme. Morgen geht es weiter. Leider ist P heute krank gewesen, und von einer der Teilnehmerinnen, die wir in Trichy zurücklassen musste, hörten wir, dass sie inzwischen in einem Krankenhaus liegt. Zum Glück können sich unsere indischen Freunde rund um die Uhr um sie kümmern. 

Gleich werde ich noch ein wenig in meiner indischen Lektüre weiterlesen (Durjoy Datta: Till the Last Breath...) weiterlesen, bevor ich das Licht ausmache. 

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