Mittwoch, 2. Januar 2019

Joe’s Coffee

Sitze jetzt gerade im „Joe`s Coffee“ gegenüber von unserem „Siva Guesthouse“ und trinke einen Cappuccino, einer der Luxusmomente in Indien, die mit einem leichten Schuldgefühl verknüpft sind. Der Morgen begann damit, dass ich auf dem Handy im Guardian las, dass Frauen in Kerala eine 630km lange Kette gebildet haben, um gegen den „Tempelbann“ zu protestieren, der von Hindu-Nationalisten für Frauen im menstruierenden Alter (zwischen 10 und 50 Jahren) für einen Tempel in Kerala erklärt worden ist. Ich schreibe das hier gerade mit meinem Handy und einer externen Tastatur und kann deshalb momentan nicht nachschauen, wie der Tempel heißt und wie der Gott, dem er gewidmet ist und dem die Hindu-Nationalisten zuschreiben, dass er ein zölibatäres Leben gelebt hat, was der Grund dafür sein soll, die Frauen aus dem Tempel zu verbannen. 

Wenn ich mich in manchen Momenten frage, was der Sinn einer solchen Reise ist, wie wir sie gerade machen, so kann ich eigentlich nur darauf kommen, dass es die menschlichen Begegnungen sind. Z.B. mit den jungen Frauen vom YWCA, die am Tag überall auf dem Gelände des Wohnheims verstreut zu sehen waren, über ihre Bücher und Hefte gebeugt (später erfuhren wir, dass sie Medizin studieren und sich auf ein Abschlussexamen vorbereiteten). Am Silvesterabend kamen sie zu unserer Gruppe, als wir in der Dunkelheit hinter dem Hotel auf einem großen betonierten Platz tanzten, und nachdem sie eine Weile zugeschaut hatten, fragten sie, ob sie mitmachen könnten. Immer wieder kamen zwei oder drei von ihnen, tanzten mit uns, bedankten sich und verabschiedeten sich dann wieder, und dann kamen zwei oder drei neue. Wunderbare junge offene, intelligente Frauen mit einem Leuchten in ihren Augen. Nachdem wir mit unseren Tänzen fertig waren, brachten sie uns einen traditionellen Tanz bei, bei dem sie ziemlich viel Spaß daran hatten, sich so viele Improvisationen wie möglich auszudenken. Danach war „Party Time“, und wir tanzten zu einer Art Bollywood-Musik und Bewegungen, die sie vorgaben und die wir so gut wie möglich nachzuahmen versuchten. 

Die zwei jungen Männer von Joe`s Cafe spielen gerade Musik von ihren Handys, und es fällt mir schwer mich zu konzentrieren. Überhaupt fällt es mir schwer, in den Blog reinzukommen. Fast kann ich mich nach den Zeiten sehnen, in denen ich mich in einen Internet Point setzen musste, um dort eine Stunde zu schreiben, nur umgeben vom Geräusch der raschelnden Tastaturen und vielleicht des Ventilators an der Decke und möglicherweise des Verkehrslärms, der von der Straße hereinkam. Die Zerstreuungen sind auch in Indien allgegenwärtig. 

Heute früh, als wir einen stillen Morgenspaziergang machten und dann vor dem Durgatempel eine Bewegungsmeditation machten, bekamen wir bald Gesellschaft von einer Inderin, die sich in unseren Kreis einreihte und ihre eigenen Bewegungen machte. Als wir fertig waren, fragte sie, ob wir etwas singen könnten und stimmte das Lied „Gentille Alouette“ an, das wahrscheinlich auf das Konto der zahlreichen französischen Touristen ging, die Mamallapuram besuchen und bei dem wir so gut wie uns möglich war, mitsangen, dabei ihre Schritte und Armbewegungen imitierend, unter den amüsierten Blicken anderer Bewohner der Straße. 

Gestern war Neujahrstag, und das Dorf kochte, wenigstens auf der Hauptstraße. Zahlreiche Besucher aus der Umgebung waren unterwegs, zu Fuß, mit Motorrädern, mit dem Auto, und ich hatte Mühe, vorwärts zu kommen. Am Abend hatte sich das schon beruhigt, und wie immer ist Mamallapuram ein interessantes Beispiel für das, was der Reiseführer „Backpackistan“ nennt, mit Cafes, in denen kein einziger Inder zu finden ist und in denen man nicht nur Cappuccino bekommt, sondern auch Müsli und Pfannkuchen, mit Läden, vor denen die Besitzer mit freundlichem und resignierten Lächeln versuchen, eine Beziehung zu etablieren, die die Touristen dazu bringt, ihr Geschäft zumindest zu betreten, mit Straßenhändlern, die versuchen, ihren billigen Schmuck loszuwerden, indem sie an das Mitleid der Besucher appellieren. 

Auf der Skateboard-Bahn für Mädchen saßen am Morgen die Fischer und flickten ihre Netze. In dem Cafe, in dem ich sitze, bin ich nicht die einzige Weiße, die an ihrem Blog bastelt. „Nice Computer“, sagte der Kellner, als er meine leere Tasse abholte, und lachte mir im Weggehen zu. 


Schluss für heute. Ich hoffe, dass ich jetzt endlich einen Anfang gefunden habe für meinen Blog. Ich habe vor, mich täglich eine Stunde lang irgendwo hinzusetzen und zu schreiben. 

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