Der erste Tag in Indien geht zu
Ende, ich sitze auf meinem Bett im YWCA in Chennai, der Ventilator läuft leise
an der Zimmerdecke, draußen ist es dunkel, wir warten aufs Abendessen, und ich
versuche, die Eindrücke der ersten 24 Stunden zu sammeln und außerdem irgendwie
mit dem Blog in Gang zu kommen.
Den gestrigen Nachmittag
verbrachte ich schlafend auf meinem Bett, weil ich noch an der nächtlichen
Flugreise und der Zeitverschiebung herumknabberte (es ist hier viereinhalb
Stunden später als in Deutschland). Das Hotel ist mir von früheren Besuchen
vertraut und auch die Weihnachtsdekoration im Garten - große beleuchtete
Weihnachtssterne, die in den Bäumen hängen. Ich kenne noch das Personal an der
Rezeption, und ich erinnere mich daran, wie das Essen hier schmeckt. Das
abendliche Büffet ist vegetarisch, zum Frühstück bekommt man Idlis (gedämpfte
Reiskuchen) oder Wadas (frittierte Ringe aus Reis- und Linsenmehl) mit
verschiedenen Soßen, Toast mit Butter, die in kleinen handlichen Stücken in
einer Schale mit kaltem Wasser schwimmt, Papaya und gekochte Eier, und man kann
zwischen indischem Tee und indischem Kaffee wählen.
Es ist etwas Besonderes, zu einem
Ort immer wieder zurückzukehren. Selbst das Zimmer, in dem wir wohnen, ist mir
noch von früher vertraut. Der schönste Augenblick nach der Ankunft: im Bad den
Eimer mit warmem Wasser füllen und es sich dann mit einer Kanne übergießen:
Bucket shower!
Die Fahrt mit dem Taxi vom
Flughafen zum Hotel ist immer ernüchternd. Die Hässlichkeit der Stadt, der Verkehr,
vermüllte oder aufgerissene Gehsteige, ein dichter Smog in der Luft. Im
Reiseführer steht, dass das Beste an Chennai die Menschen sind, die hier
wohnen, und aus meiner Erfahrung kann ich das nur bestätigen. Die Begegnungen
sind herzlich und warm, und während in Delhi Freundlichkeit mit einem
Hintergedanken (Bakshish) verbunden zu sein scheint, kommt sie mir hier echt
vor.
Wir haben heute eine große Tour
durch die Stadt gemacht und alles abgeklappert, was der Reiseführer so
empfiehlt. Da ich schon oft in Chennai gewesen bin, war für mich kaum was Neues
dabei, aber es sind ja die unerwarteten Dinge, die passieren, die Begegnungen,
zu denen es kommt, die das eigentlich Interessante sind.
Meine Reaktion, als wir im
staatlichen Museum die Bronzefiguren anschauen, die in staubigen Vitrinen vor
sich hinstarren: „Wenn ich hier einen Tag arbeiten würde, dann würde ich erst
einmal putzen.“ Die Treppe zwischen den Stockwerken der Cholabronzen-Sammlung ist
unglaublich dreckig. In einem Saal schiebt ein Museumswächter, der ein großes
Handtuch über seine Schultern gelegt hat, den Schmutz ein wenig mit seiner
Schuhspitze zusammen und stellt dann einen Stuhl vor das Dreckhäufchen, um der
Optik willen.
Auf dem Museumsgelände
verfallende Gebäude, streunende Hunde. In den Bäumen hängen riesenhafte
Fledermäuse. Frauen laufen in der typischen gebückten Körperhaltung herum und
fegen den Boden mit einem Reisigbesen.
Weiter zur Kirche St.Thomas.
Sonntagsgottesdienst. In der Krypta, in der angeblich der Apostel Thomas
beigesetzt ist), ist gerade eine Hochzeit im Gange, mit Keyboard, schmalzigem
Gesang und einem Priester mit schnitziger Sonnenbrille zum fußlangen weißen
Gewand.
Eine Frau aus unserer Gruppe wird
vor der Weihnachtskrippe (mit Figuren in wirklichkeitstreuer Größe) beklaut,
nachdem sie einer Bettlerin etwas Geld gegeben hat, aber zum Glück ist “nur”
Geld in ihrer Börse gewesen.
Im der AC-Abteilung des Saravan
Bhavan (Restaurant) sind wir die einzigen Gäste, und die Kellner beobachten
amüsiert, wie wir uns von unserem Chauffeur erklären lassen, in welcher
Reihenfolge wir die kleinen Schälchen unseres Tali auf das Bananenblatt leeren
sollen.
Ein Besuch am Marina Beach,
Freude und Unbeschwertheit pur. Handangetriebene Karussells oder
"moderne", die sich mit Hilfe eines tuckernden Motors drehen, während
der Betreiber sich gelangweilt an die Mittelsäule lehnt. Die Kinder klammern
sich an die Eisenstangen, die bunt bemalten Holzpferde (einigen fehlen die Beine)
fliegen waagrecht durch die Luft.
Ausgelassen laufen die Menschen
in das warme Meerwasser, Junge und Alte. Die Strömung ist stark und man kann
deshalb nicht schwimmen. Manche wagen sich trotzdem weiter hinaus, in voller
Bekleidung. Patschnasse junge Männer halten einander an den Händen, Mütter
umklammern die schmalen Oberarme ihrer Kinder mit einem festen Griff und
genießen selber die Kraft der Wellen, die sie beinahe umwirft. Alte Frauen
stehen bis zur Taille im Wasser. Eltern sitzen am Strand, ihre Kinder im Auge.
Zuckerwattenverkäufer, selber
noch Halbwüchsige, klingeln unablässig mit der Fahrradglocke, die an dem
Stecken befestigt ist, an dem die pinkfarbene Zuckerwatte in Zellophantüten
hängt.
Auch ich stehe bis zu den Knien
im Wasser, ohne mich darum zu scheren, dass das Wasser an meinen Hosenbeinen
nach oben zieht.